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gambito

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geändert von: gambito - 02.03.11, 06:52:28

Sozialarbeit: Mit dem Maserati voll daneben
Der Berliner Skandal ist keine Ausnahme, sondern liegt im System


Ein Blitzer und die Straßenverkehrsordnung machten in Berlin einen Skandal öffentlich, mit dem schon lange zu rechnen war: Weil sich der Fahrer weigerte ein Fahrtenbuch zu führen und das Bußgeld zu zahlen, ging die Sache zu Gericht. Dabei fiel auf, dass der geblitzte 440-PS-Maserati neben anderen Premiummodellen als Dienstwagen der gemeinnützigen Berliner „Treberhilfe“ angemeldet ist. Genutzt wurden Wagen und Chauffeur vom Chef der Treberhilfe, dem Diplompädagogen Harald Ehlert. Ihm stand nicht nur eine Dienstwohnung in einer Villa am See zur Verfügung, sondern auch ein Monatsgehalt von 35.000 Euro. Die Berliner Presse ist empört über diesen Skandal und beschreibt ihn als die Verfehlung eines Einzelnen. Doch die wahren Hintergründe liegen in der Umwandlung sozialer Dienste als Handelsgut.
Nach zahlreichen Versuchen der Verschleierung musste Ehlert am 12. März zurücktreten, er bleibt aber noch mit einem Anteil von 50-%-Gesellschafter der gemeinnützigen Träger-GmbH.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat den der gGmbH zugeordneten Verein ausgeschlossen, die Diakonie will jetzt auch die gGmbH ausschließen und der Senat hat wegen Veruntreuung öffentlicher Mittel Strafanzeige gestellt. Damit steht die Treberhilfe mit ca. 300 Angestellten vor dem aus.
Ehlert galt bis dahin als besonders pfiffiger Sozialunternehmer, der bestens in der SPD vernetzt war und mit seinen innovativen Konzepten ganz vorne mitmischte: „Die Gesellschafter, Ehlert persönlich und der Treberhilfen-Verein, zahlten je 15 500 Euro ein. Vier Jahre später beträgt das Kapital eine Million Euro sowie mehrere Immobilien.“ (Kölner Stadtanzeiger vom 14. März 2010).
Zuletzt errechnete Ehlert mit Unterstützung der Unternehmensberatung Kienbaum und Prof. Eichhorn von der Uni Mannheim für seine Treberhilfe mit ihren ca. 300 MitarbeiterInnen einen „social profit“ von 1,81 Mill. Euro für das Jahr 2008 – von jedem von der öffentlichen Hand eingesetzten Euro würden 1,15 Euro an staatliche Kassen und Sozialversicherungen zurückfließen.
Doch Profit lässt sich auch anders verstehen: Trotz Luxuswagen, -wohnung und exorbitantem Chefgehalt nebst Zugaben erzielte die Treberhilfe bei einem Umsatz von 13 Mill. Euro einen Überschuss von 900.000 Euro (Berliner Zeitung vom 11. März 2010).


Auf Kosten der MitarbeiterInnen
Überschuss und Geschäftsführerbelohnungen wurden auf Kosten der MitarbeiterInnen erwirtschaftet, sie erhalten nur geringe Gehälter, haben überwiegend Teilzeitstellen und sind Opfer einer ganz besonderen Flexibilisierung – Mehrstunden werden nur dann bezahlt, wenn eine bestimmte Klientenquote erreicht wird. Betriebsrat und eine wirkliche Tarifbindung hat die Treberhilfe über einen
besonderen Trick vermieden: Während die „Treberhilfe e.V.“ Mitglied im Paritätischen war, wurde die gGmbH als Träger Mitglied im Diakonischen Werk – und galt damit als Tendenzbetrieb.


Kann Profit denn Sünde sein?
Die Berliner Treberhilfe als Musterbeispiel für die Ware „Soziale Arbeit“


Besorgt fragen nun Berliner Politik und Medien, ob bei der Treberhilfe die Kontrolle versagt habe und wie es denn sein könne, dass eine gemeinnützige GmbH mit Steuervorteilen und Gewinnerzielungsverbot habe so wirtschaften dürfen. Tatsächlich aber werden Ehlert – wenn überhaupt - nur steuerliche Versäumnisse vorzuwerfen sein – der Fehler liegt im System:
Die Berliner Sozial- und Jugendämter suchen seit langem ihr Heil im Abbau von Stellen. Stattdessen werden mit den unterschiedlichsten Vereinen und Gesellschaften Leistungsverträge geschlossen. Die der Vergabe von Aufträgen zugrunde liegenden Auswahlkriterien sind nur wenig transparent – vermutlich „zieht“ eine Vermischung zwischen Preis und persönlicher Verbindung. Und so hat es Ehlert, wie andere Berliner Träger auch, geschafft innerhalb kürzester Zeit immer neue Aufträge zu erhalten und ein schnelles Wachstum abzusichern.
Grundlage für die Auftragserteilung sind vorab verhandelte Beträge für Fachleistungsstunden, Tagessätze und sonstige Pauschalen. Diese werden in der Regel aus einer Verbindung der Anteile für Gehalt (orientiert am TVöD), durchschnittlicher Jahresarbeitszeit, Steuerungs- und Sachkosten errechnet. Die in Berlin vereinbarten Kostensätze sind nicht als besonders großzügig zu beschreiben. Wie also wurden Wachstum und Überschüsse erwirtschaftet?
Auffallend ist, dass die Geschäftsform der gemeinnützigen GmbH besonders gerne beauftragt wird. Die als „Dach“ fungierenden Wohlfahrtsverbände haben in Folge nur noch einen geringen Einfluss auf den Geschäftsbetrieb. Sie bilden eher gemeinnützige Fassade und bieten Service bei Mittelabrechnung und Lobbypolitik. Normativ, etwa im tariflichen Bereich oder in der Verpflichtung auf ethische Prinzipien, haben sie ihre Einflussmöglichkeiten schon längst aufgegeben.
Im Prinzip sind in Berlin zwei „Geschäftsmodelle“ zu beobachten:


Kleinere Träger …
bevorzugen den Einsatz von sogenannten „Honorarkräften“ und flexiblen Angestellten: Leistungsanbieter im Bereich der ambulanten Jugendhilfe (z.B. SPFH) erhalten in Berlin einen Satz etwas mehr als 48 Euro je Fachleistungsstunde. Dieser Betrag ist ausreichend bei Berücksichtigung von Urlaub, Supervision, Krankheitszeiten, usw. einen tariflichen Lohn zu bezahlen. Er richtet sich in etwa nach den Empfehlungen der KGSt. In seinen Mindeststundensätzen hat der DBSH (http://www.dbsh.de/html/archiv6.html) berechnet, dass bei einem Stundensatz von 48 Euro 1093 Fachleistungsstunden ausreichen, um Trägeraufwand und Tarifgehalt zu zahlen. Tatsächlich aber setzen die Träger vielfach Honorarkräfte ein, die in der Stunde um die 20 Euro erhalten und bei Krankheit oder Urlaub ohne Einkommen dastehen – wobei die Zeiten für An- und Abfahrt, Vorbereitung, usw. nicht bezahlt werden. Diese Konstruktion ist jetzt durch Rechtsprechung und verstärkte Kontrollen der Rentenversicherung in Frage gestellt. Danach sind Honorarkräfte scheinselbständig – und so werden einige Träger rückwirkend für die vergangenen vier Jahre Sozialabgaben abführen müssen.
Vor diesem Hintergrund werden diese Träger ein anderes Modell entwickeln, wie es bereits große Träger für sich nutzen: Zunächst werden weit untertariflicher Gehälter (im Vergleich zum TVöD) gezahlt. Hinzu kommen geringere Urlaubszeiten und vor allem ein System der flexiblen Arbeitszeitaufstockung: Mit dem Mitarbeiter wird nur ein Arbeitsumfang, z.B. von 19 Stunden vereinbart. Darüber hinausgehende Beschäftigungsumfänge werden, wenn überhaupt, monatsweise zusätzlich je in der Familie geleisteten Stunde abgerechnet. Damit befreit sich der Träger von Aufwendungen für Anfahrtszeiten, ausgefallene Leistungsstunden, Binnensteuerung, Lohnfortzahlung bei Krankheit, usw..
Je nach „Beschäftigungsmodell“ dürfte die Differenz zwischen Kostenerstattung der Fachleistungsstunde und gezahltem Gehalt für den Träger bei 20 bis 50 Prozent liegen.

Teil 1 von 2, Autor: Wilfried Nodes
Quelle: Deutscher Bundesverband für Soziale Arbeit (DBSH) e.V.
01.03.11, 18:45:13

gambito

(Mitglied)

geändert von: gambito - 02.03.11, 06:55:41

Teil 2 Mit dem Maserati voll daneben

Größere Träger …
können sich wegen der damit verbundenen Risiken das Modell der Honorarkräfte nur in den wenigsten Fällen erlauben.
Sie suchen ihren Sonderprofit in einer Verbindung zwischen untertariflicher Bezahlung, schlechten Arbeitsbedingungen (so gewährt die Treberhilfe nur 20 Urlaubstage) und Flexibilisierung der Arbeit: Die Treberhilfe nennt dies „belegungsabhängig gesteuerte Arbeitszeit“, die eine wirtschaftliche Notwendigkeit sei. In der Umsetzung bedeutet dies, das Teilzeitkräfte so lange unbezahlt Mehrarbeitsstunden zu leisten haben, bis die von dem Unternehmen vorgegebene Mindestbelegung erreicht ist. Die Belegungszahlen orientieren sich dabei nicht an den Leistungsverträgen mit dem Kostenträger, sondern werden intern noch einmal „hochgesetzt“
Diese „Einsparungen“ waren effektiv für die Treberhilfe: In der Bilanz sind die Personalkosten gerade mal mit 60 % ausgewiesen, üblich sind für soziale Einrichtungen mindestens 80 Prozent. In Zahlen ausgedrückt: Bei einem Umsatz von ca. 13 Millionen hat Ehlert aus der Arbeit der 300 MitarbeiterInnen 2,6 Millionen Euro zusätzlich herausgeholt!


Es geht noch mehr ...
Doch selbst diese Profitmethoden scheinen den Trägern nicht ausreichend zu sein. Wir berichteten bereits über eine Prämie, die Mitarbeiter bei der AWO in Halle erhalten, wenn Sie nicht krank werden und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Die AWO in Halle ist jedoch kein Einzelfall: Ein noch ausgeklügelteres System hat der Berliner „VIA-Unternehmensverbund“, der als Träger von Integrationsmaßnahmen, Pflege, Hotels, einer Fortbildungsakademie, usw. arbeitet, entwickelt (http://www.via-berlin-online.de). Hier wird je Krankheitstag die (nicht festgeschriebene) Gratifikation (freiwillige Arbeitgeberleistung) zu Weihnachten entsprechend gekürzt.


Lücken der Gemeinnützigkeit
Eigentlich erlaubt das Gemeinnützigkeitsrecht einer gGmbH keine Ausschüttung von Gewinnen an Geschäftsführer und Gesellschafter, allerdings sind Dienstwagen und ähnliche Annehmlichkeiten durchaus erlaubt. Sein doppeltes Bundeskanzlerinnen - Gehalt hat sich Ehlert jedoch über „mehrere Funktionen bei der gemeinnützigen Treberhilfe“ (so die Berliner Zeitung) ausgezahlt. Diese Lücken nutzen viele „gemeinnützige“ Unternehmer: Neben dem Gehalt als Geschäftsführer werden etwa auch Geschäftsführungsaufgaben für den zugeordneten eingetragenen Verein vergütet. Ein beliebter Trick ist es auch, mit der eigenen gGmbH einen Berater- oder Dienstleistungsvertrag abzuschließen und für diese Aufgaben eine eigene – nicht gemeinnützige – Parallelfirma zu führen.
So oder ähnlich wird auch der Geschäftsführer der Berliner Treberhilfe gearbeitet haben. ExpertenInnen bezweifeln zurecht, ob dieser Rückgriff auf frühkapitalistische Methoden überhaupt als rechtswidrig beschrieben werden kann.


Lammfromme Fachkräfte
All diese Entwicklungen wären kaum denkbar, wenn die MitarbeiterInnen nicht stillhalten würden. Auch dies verdeutlicht das Beispiel der Treberhilfe. So ist bereits in der Vergangenheit die Gründung eines Betriebsrates gescheitert und selbst in der aktuellen Situation mochte sich nur die Hälfte der Mitarbeiter dazu entscheiden, eine Protestresolution zu unterschreiben. Und auf Nachfragen war keiner der uns bekannten KollegInnen bereit, sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen.
Dabei würde die Arbeitsmarktlage eigentlich ein selbstbewussteres Vorgehen ermöglichen - wenn man nur bereit wäre, notfalls die Stelle und evtl. auch den Ort zu wechseln. Uns erreichen immer wieder Anfragen von KollegInnen, die als Honorarkräfte für z.B. in Berlin 19,00 Euro je Fachleistungsstunde erhalten und aktuelle befürchten, für Sozialabgaben heran gezogen zu werden.
Netto verbleibt den KollegInnen ein Stundenlohn von weniger als 10 Euro – und dennoch: weder will man sich in feste Stellen einklagen, noch denkt man daran, evtl. den Wohnort zu wechseln. Tatsächlich dürfte es angesichts familiärer Bindungen schwer fallen, der Arbeit hinter her zu reisen – zumal Berlin eigentlich einen ausreichend großen Arbeitsmarkt bieten würde. Nur ist dieser mittlerweile durch Profitbetriebe und die hemmungs- und kriterienlose Outsourcing-Strategie des Berliner Senats so dereguliert wie in keiner anderen Stadt Deutschlands.


Politik ist gefragt
Das Beispiel „Treberhilfe“ zeigt das Scheitern der bedingungslosen Privatisierungsstrategie sozialer Dienste. Wer Verträge mit Trägern sozialer Arbeit schließt, muss Qualitätskriterien ebenso vorgeben, wie die Verpflichtung zu tariflicher Entlohnung entsprechend den Bedingungen des öffentlichen Dienstes. Und von der freien Wohlfahrtspflege ist zu erwarten, dass Binnenstruktur und inhaltlicher Anspruch wieder als Einheit gesehen werden.


Teil 2 von 2, Autor: Wilfried Nodes
Quelle: Deutscher Bundesverband für Soziale Arbeit (DBSH) e.V.
01.03.11, 18:53:16
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